Interview - Los Placebos (März 2015)

 

Bereits 2014 hieß es im Dortmunder Musiktheater Piano "20 Jahre Los Placebos". Als zusätzlicher Liveact waren "lediglich" die großartigen The Valkyrians aus Helsinki eingeladen. Für lange, ereignisreiche 20 Jahre doch ein recht bodenständiges Fest, oder? Alte oder neue Bescheidenheit aus dem Ruhrpott?

 

CARSTEN: Bescheidenheit ist doch eine Tugend, wenn ich mich nicht täusche und richtig in Erinnerung habe. Glaube aber, dass man davon auch nicht wirklich reden kann, wenn man das Glück hat eine solch großartige Band, wie die Valkyrians mit am Start zu haben. Wir wollten da ganz bewusst kein dickes Festival draus machen, sondern stattdessen einen ganz besonderen Abend für uns und all die Gäste. Wollten Sachen auf die Bühne bringen, die wir teils schon seit 15 Jahren nicht mehr gespielt haben. Der Gedanke war deshalb  lieber zwei Bands ganz ordentlich Bühnenzeit zu ermöglichen als 4 oder 5 Bands im Halbstundentakt über die Bühne zu hetzen. Drumherum dann noch gute Freunde an den Plattentellern, die den Abend und die Party für alle Anwesenden unvergessen gemacht haben. Ach, und die gemeinsame Nummer mit den Finnen auf der Bühne war schon irgendwie sehr amtlich. Denke, dass wir da gemeinsam mit dem Pedro als Veranstalter was ganz Feines aus dem Boden gestampft haben.

 

Carsten, du bist Sänger und Gründungsmitglied der Band. Du bist Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre rollerfahrend zum Ska gekommen. Wie war das in dieser Zeit? Es gab eine Ruhrpott-Rollerszene? Was verbindet euch persönlich und musikalisch heute miteinander?

 

CARSTEN: Ja, das stimmt. So war das damals. Mit dem Roller immer zur Schule und durch die Gegend geheizt und zwangsläufig so mit den anderen in Kontakt gekommen, die es genauso gemacht haben. Bei mir war als erstes der Roller da und noch gar kein Bezug zu irgendeiner Szene oder so. Das kam dann mit der Zeit zustanden. Hab irgendwann von Älteren an der Schule ein Tape mit altem Jamaika-Ska in die Hand gedrückt bekommen und war sofort hin und weg. Wow, was war das denn? Bis dato kannte ich nur die Sachen aus der Zeit, wie die Frits aus Wattenscheid oder die Busters eben. Die hab ich zwar völlig abgefiert, doch  ab dem Moment und dem Tape taten sich aber plötzlich ganz neue Welten auf. Das war eine Initialzündung für mich.

 

Das Ruhrgebiet war in Sachen Scooterboys, Mods und Co. ja recht aktiv und gut vernetzt. Ska spielte zu der Zeit in der Rollergemeinde eine dicke Rolle und auf Runs war Ska neben dem Northern Soul immer noch gut präsent. Hatten in den Jahren ja auch immer Leute an Bord, die damals schon in der Szene dabei waren oder auch heute noch unterwegs sind in Sachen Blechroller. Richtig gut damals zum Beispiel der Gig 1999 auf der Euro-Lambretta. Haben dafür den Song „Lambretta-Ska“ rausgebracht. Bis heute im Programm, also auch bis heute noch relevant.

 

Unbestritten ist das heute noch genauso, wie damals. Wenn ich irgendwo einen Zweitakter rieche und dazu das vertraute Knattern vernehme, dann geht das Herz auf. Dazu Northern Soul und eben Ska – Was willst Du mehr?

 

Der Bandname Los Placebos ist mehr aus einem Zufall - einem Zuruf aus dem Publikum - entstanden? Bei der Recherche stößt man auf zwei Interpretationen: Zum einen "es gefällt" oder "ich werde gefallen", zum anderen geht es um einen Scheineffekt. Wieviel Schein und wieviel Sein liegt im Placebo(s)-Sound, und hat der spanische Artikel nicht doch eine tiefere Bedeutung?  

 

CARSTEN: Ohne Mist, das war damals schon so eine Art Wunsch des Publikums. Der erste Auftritt in einem kleinen Jugendzentrum in Duisburg stand an und die Plakate sollten gedruckt werden.  Waren so etwas seit 3 Monaten am Start und hatten ne Handvoll Songs im Programm. Für ne halbe Stunde im Rahmen des Festivals musste es reichen. Ab wie heißen wir jetzt eigentlich??? „Placebos“ stand dann irgendwie im Raum. Ehrlich? Ja. Nein. Vielleicht. Komm, nehmen wir. So Scheinmedikamente? Tiefere Bedeutung? Komm, ist egal. Nehmen wir. Soll so aufs Plakat. Konnten ja nicht ahnen, dass diese fixe Idee auch mehr als 20 Jahre später immer noch Bestand hat. Das Ding ist nur, wir haben uns das damals eher deutsch ausgesprochen gedacht. Die Leute hatten aber die verschiedensten anderen Vorstellungen davon. Vom englischen „Placebos“ über „Playboys“ war so ziemlich alles vertreten. Das konnte so nicht weitergehen. Und irgendwann grölten da halt 2-3 Leute während eines Konzerts Los Placebos. Warum auch immer?!? Das wars dann! Mit der spanischen Vorsilbe musste das so ausgesprochen werden, wie wir uns das vorgestellt hatten. So banal war das eben. Haben aber natürlich aufgrund des spanischen Artikels immer wieder Erlebnisse, wie etwa den Veranstalter gehabt, der von einer spanischen Band ausging und doch recht überrascht über die Horde Menschen aus dem Ruhrpott war. Oder etwa diese eher belanglosen Band mit Namen „Placebo“ aus England, die auf Ihrer ersten Deutschland-Tour bei Ihrer Köln-Show in einem Magazin mit dem Zusatz Ska angekündigt wurden. Hahaha….

 

In die Vergangenheit schauend fällt auf, dass ihr 2004 mal mit elf, dann mal mit neun und heute mit acht Musikern unterwegs seid. Wer ist denn noch heute von der Gründungsmitgliedern dabei?

 

CARSTEN: Wir verschleißen halt viele Leute, weil wir alle so furchtbar anstrengende Menschen sind und kaum einer dem auf Dauer gewachsen ist. Ne, ist natürlich nicht so. War ein Prozess, der schlicht und ergreifend auch was mit dem Alter der Damen und Herren zu tun hatte. Das haste sicherlich in Tausend Bands so. Irgendwann ist so eine Band neben Job, Familie und Co. nicht mehr so einfach für jeden machbar. Sowas ist mit Anfang 20 noch ne ganz andere Nummer. Los Placebos waren und sind  für jeden Einzelnen immer auch ein ganz großer Teil seiner Freizeit. Für manche hat das dann nicht mehr hingehauen. Das ist zwar schade, aber auch irgendwie ganz normal. Machste nix dran. Hatten dann nicht Bock zwangsläufig jeden immer zu ersetzen. Sowas muss neben dem musikalischen ja auch menschlich passen, da man eine ganze Menge Zeit miteinander verbringt. Das ist so verdammt wichtig! Den rein logistischen Vorteil der aktuellen Besetzung, darfst Du aber nicht unterschätzen: Wir passen alle in EINEN Neunsitzer-Bus!!!

Von der Urbesetzung sind aktuell noch Carsten an der Trompete, Dirk am Schlagzeug und meine Wenigkeit am Start. Beagle an der Gitarre ist aber auch schon ewig mit dabei und gefühltes Gründungsmitglied unserer kleinen Kapelle. Ganz frisch ist auch Gründungsmitglied Uli am Saxofon immer mal wieder mit dabei und macht aus dem Achter wieder nen Neuner. Die restlichen Herrschaften sind die Besten die man sich nur vorstellen kann.  Ganz feine Menschen sind das!

 

20 Jahre Musik, 20 Jahre Konzerte, 20 Jahre Ska im Ruhrpott. Was hat sich im Rückblick verändert?

 

CARSTEN: Wir sind natürlich minimal älter geworden. Gefühlt natürlich gar nicht… Paar Haare verloren. Die, die noch da sind vielleicht ein bisschen grauer. Ein paar Kilos mehr. Sonst aber nix verändert… hehehe

Gibt heute viel mehr Ska-Bands, als früher.. Damals bist Du ganz einfach bereit gewesen für den einen Gig in Sachen Ska an nem Mittwochabend mal eben 150km zu fahren. War egal. Du wolltest halt dabei sein.
Kein Ding zu der Zeit. Heute ist aber oft schon der Weg in die nächste Stadt ein Problem. Immer mehr richtig gute Veranstalter müssen damit kämpfen, dass immer mehr Leute ihren Arsch nicht mehr hochbekommen und immer weniger raus gehen. Ne Schande ist das eigentlich. Da muss man sich aber auch selbst an die eigene Nase fassen.

Für einen Veranstalter machte es damals durchaus noch Sinn irgendwo im verschneiten Erzgebirge eine recht frische und neue Band aus dem Ruhrpott zu buchen. Der Laden war voll. Heute ist es dagegen oftmals so verdammt traurig anzuschauen, dass sich Leute zwar immer noch den Arsch aufreißen, Konzerte zu organisieren und  geile Bands zu buchen, dann am Abend aber doch nur wieder eine Handvoll Leute im Laden haben. Neben dem finanziellen Desaster demotiviert sowas verständlicherweise auf Dauer natürlich. Wir sind aber echt verdammt froh, dass es auch im Ruhrgebiet weiterhin immer noch richtig engagierte Leute und Läden gibt, die die Sache  schon seit Ewigkeiten und trotz immer neuer Rückschläge hochhalten. Das sind dann die Leute, die wir auch immer wieder gerne unterstützen und wo wir super gerne mit dabei sind. Ob nun bei den Mädels und Jungs von der „Skanking Night“ in Oberhausen oder den Shows die Pedro oder auch Johannes in Dortmund immer wieder machen.

 

Wäre jetzt aber auch viel zu einfach zu sagen, früher was alles besser. Das  ist natürlich völliger Blödsinn. Früher passierte auch ne Menge Mist und es waren dämliche Leute unterwegs Du hast es immer noch selbst in der Hand einfach das Beste aus dem zu machen, was sich Dir als Band an Chancen bietet. Und auch heute gibt’s immer wieder neue junge Leute, die teils nur halb so alt sind wie Du selbst und die mit vollen Einsatz neue Sachen an den Start bringen und dafür sorgen, dass die Szene am Leben bleibt. Das ist richtig gut so!

 

Ähnlich wie bei anderen langjährigen Ska-Bands findet man bei euch eher kleinere Touren im regionalen, deutschsprachigen oder maximal europäischen Raum. Woran liegt das?

 

CARSTEN: Das ist das für uns natürlich oft ganz einfach ein Zeitding. Wir alle haben unsere Jobs, ein Großteil eigene Familien und Kinder am Start, da musst Du gucken, dass das zusammen irgendwie unter einen Hut passt. Viel mehr als kurze Wochenendtouren ist da dann leider oft nicht drin. Außerdem liegt das aber auch an den Dingen, die ich gerade schon beschrieben habe. Für Veranstalter wird das immer mehr zu einer Gradwanderung in Sachen Kohle. Warum wohlmöglich international eine Band buchen, wenn Du mit zwei lokalen Knüppelkappellen genauso viele Leute im Laden hast. Haben aber mit unserer Bookingagentur im Rücken zum Glück immer wieder die Chance raus zu kommen und neue Clubs, Festivals und Leute kennenzulernen. Also, wer was für uns hat – Immer laut schreien oder Info an den Franze von ff.dabei.booking!

 

Xenia ist aktuell die einzige Frau am Start. Sie haut in die Keyboardtasten und unterstützt Carsten ab und zu bei der Stimme. Wie lange ist sie schon dabei? Und verträgt sich so viel Testosteron in der Band mit so wenig Östrogen, insbesondere auf Tour?

 

CARSTEN: Xenia ist seit rund fast vier Jahren bei uns dabei. Absoluter Glücksgriff sie getroffen zu haben. Neben Ihren grandiosen Künsten an den Tasten hat sie auf dem neuen Album komplett mitgesungen und das ganze so richtig schön rund gemacht. Wollten diese Mehrstimmigkeit auch schon bei früheren Sachen viel mehr umsetzen, sind da aber oft dran gescheitert. Mit ihr passt das nun perfekt. Naja, und ne richtig klasse Frau ist sie sowieso. Passt gut zwischen uns allen. Östrogen und Testosteron harmonieren prächtig und unter den Tisch trinkt sie uns sowieso, Den Schock vom ersten gemeinsamen Gig haben wir alle lange überwunden. Stell Dir einfach mal 8 Männer vor, die sich mal eben in ihre abgeranzten Bühnenklamotten werfen und auf die Bühne wollen und dann staunend und mit offenen Mündern hinter der Frau stehen, die sich aufwendig Ihre Haare stylt, schminkt und sich einfach so richtig bühnenfein macht…

 

Ihr beschreibt eure Musik auch immer wieder als "Ruhrareanstyle". Wie würdet ihr  "Ruhrareanstyle" jemanden erklären, der euch nicht kennt?

 

CARSTEN: Für uns bedeutet das schlicht und einfach als Basis den Ska zu haben, aber auch immer  das zuzulassen, was uns wichtig ist und was jeder von uns als Einfluss mitbringt. Keine Scheuklappen, keine Tabus, weil es möglicherweise nicht authentisch ist. Gerne eine Prise rauen Pop dazu, wie es England uns im Two-Tone gezeigt hat und liebend gerne wunderschöne Melodien, wie etwa in der dritten Welle.  Keine erzwungenen Stilmixe oder so, sondern einfach kleine Nuancen, die es für uns ne Ecke ehrlicher machen. Nicht verbiegen, um so zu klingen, wie jemand anderes oder um es einem Puristen recht zu machen, sondern eher das rauskitzeln und hervorheben, was man selbst am besten drauf hat. Ist genau wie im Ruhrpott selbst. Viele Menschen aus den verschiedensten Ecken sind hier im Laufe der Jahre zusammengekommen und kochen inzwischen ein ganz eigenes Süppchen! Keine Sterneküche, dafür aber bodenständig, authentisch und ehrlich. Um dem Ganzen dann einen Namen zu geben und unserer Herkunft ordentlich Tribut zu zollen, wurde es eben der „Ruhrareanstyle“.

 

Es gibt Menschen, die dem Ruhrpott eine ganz besondere Anziehungskraft zuschreiben, die sich auch in der Kultur ausdrückt. Die Städte liegen sehr eng beieinander, was sich auch in eurer Bandkonstellation spiegelt. Gibt es sowas wie einen eigenen Ruhrpott-Ska-Stil? Einen eigenen Charakter? Im Pressetext wird sogar von einem Prädikat "Ruhrarenstyle" geschwärmt.

 

CARSTEN: Das würde ich so unterschreiben. Das ist schon ein ganz eigenes Ding hier. Das kannst Du lieben oder eben hassen.  Viel dazwischen gibt es wohl  nicht. Kann mir selbst nur schwer vorstellen woanders zu leben. Hier ist weder alles schön, noch sind wir eine sonderlich  hippe Region, die jetzt mächtig viel  kreativer ist, als andere Ecken des Landes. Gibt hier genauso viel Schatten, wie Licht und sicher genauso viele dumme Pfannen, wie helle Köpfe. Aber in Summe ist das hier schon wirklich mehr als in Ordnung

 

Während man bei anderen Bands nach zwei Dekaden auf mehreren Seiten den Überblick zu den Veröffentlichungen verliert, stehen bei euch drei EPs, vier Vinyl-Singles und nur drei Alben: "Dispensor" (1998), "Respect Is Due" (2004) und euer aktuelles Album aus 2015 "Time For Action". Schnöde Durchschnittsmathematiker und böse Zungen würden jetzt behaupten, euer nächstes Album kommt erst wieder 2021 raus. Zu polemisch oder ist der Titel Selbstmotivation? (*augenzwinkernd*)

 

CARSTEN: Du bist sicherlich weder schnöde, noch ein durchschnittlicher Mathematiker, also werden wir diese These hier jetzt gar nicht weiter vertiefen – Punkt! Nein, mal im Ernst, wir waren sicherlich wirklich alles andere als fleißig in Sachen Studioproduktionen. Das lässt sich nicht wegdiskutieren. Hatten das eigentlich immer auch anderes geplant, ist dann aber mal hieran und dann wieder daran gescheitert. Alleine das neue Album sollte eigentlich schon viel früher am Start sein, wurde von uns dann aber nochmal komplett neu eingespielt. Hatten Wechsel im Line-Up zur Zeit der Session. Aus heutiger Sicht und in Bezug auf TIME FOR ACTION können wir nur sagen: Zum Glück!!! Denn das Album ist jetzt genauso, wie wir es wollten und mit den Leuten eingespielt worden, die es eben sein mussten! Und ja, der Titel ist durchaus Selbstmotivation. Wir haben Bock mit dem Album rauszugehen. Haben ein fantastisches Label am Start, die genauso Lust wie wir auf TIME FOR ACTION haben. Und nein, 2021 haben wir keine Zeit für ein Album. Das wird früher kommen!!!

 

Eines eurer Songs wurde als Soundtrack für eine deutsche ARD-Vorabendserie ausgewählt. Welcher Song war das? Und wie kommt man zu dieser elitären Auswahl?

 

CARSTEN: Soundtrack ist hochgegriffen, aber es war in der Tat ein Erlebnis der merkwürdigeren Art. Damals rief sonntags ein Bandmitglied an und meinte, dass am Vorabend ein Song von uns in der „Praxis Bülowbogen“ lief. Warum er das wusste, keine Ahnung… . Kopfschütteln, Zweifel, Unverständnis und dann ne Mail an die ARD. Die haben uns an die Produktionsfirma verwiesen und von denen bekamen wir eine Aufnahme. In der Tat, da lief in einer Folge unsere Version des Jazz-Standards „Cantaloop-Island“ vom ersten Album „DISPENSOR“. Bis heute keine Ahnung, wie die auf eben den Song von uns kamen, aber durchaus eine Sache,  mit der man ganz  mächtig bei der Oma angeben und auf dicke Hose machen konnte. Wir hatten es geschafft – „Dr. Sommefeld – Praxis Bülowbogen“. Was konnte noch mehr kommen???

 

Zurück zum neuen Album "Time For Action". Ohne Intro gefällt es durch zwölf sehr ansprechende und erfrischende Songs. Was hat euch letztlich nochmals den Kick gegeben, ein neues Album herauszubringen und was erwartet den Hörer?

 

CARSTEN: Das brauchte keinen Kick. Wie gerade schon gesagt, stand das Album schon viel länger in der Pipeline. Wir mussten es nur genauso machen, wie wir es wollten. Haben dann nach einer ersten Session doch nochmal Songs rausgekegelt und dafür neue geschrieben. Und schließlich alles nochmal ganz neu eingespielt Wollten bei jedem einzelnen der Songs sagen „Ja, der MUSS drauf“. Kein Bock auf Sachen, die nur drauf sind, um ein Album voll zu machen. Wir wollten auf TIME FOR ACTION das in den Vordergrund zu stellen, was schon auf den ersten Sachen von Los Placebos immer entscheidend war. Ehrliche Songs mit ordentlich viel Melodie, Mut zu einer guten Prise Herzschmerz und ab und an mal etwas mehr Schmackes, aber hne gleich ausfallend zu werden. Keine Ausflüge mehr in die Dancehall und auch keine mächtig verzerrten Gitarren, stattdessen Songs, die thematisch zwar nicht immer die einfachsten und fröhlichsten Momente des Lebens thematisieren, aber trotzdem sicherlich auf jede gute Party passen. Kontraste - So muss das eben!

 

In früheren Interviews habe ich gelesen, dass eure Affinität zu deutschen Text recht groß ist. Im  aktuellen Album ist "Scheinheiligenschein" der einzige Song auf deutsch. Doch wieder mehr "back to the english roots"?

 

CARSTEN: Hatten in der Tat mal den Punkt, an dem wir dachten, dass wir ab dem Moment viel mehr auf Deutsch machen wollten. Wie das aber manchmal so ist, kommt es doch oft anders als man denkt. Was interessiert mich denn heute noch unser Geschwätz von gestern?!? Es gibt da bei uns einfach keine Regel oder generelle Entscheidung. Wenn es ein Song hergibt und es für den Song auch Sinn macht, dann machen wir den auf Deutsch, wie zuletzt noch unsere Hommage an den MSV DUISBURG mit „Nur für Dich, Meiderich!“. Aktuell war es bei „Scheinheiligen-schein“ ähnlich. Der Song geisterte eben genauso durch unsere Köpfe und musste auch so raus! Keine Schubladen oder Gedanken daran, was passt denn besser in den Gesamtzusammenhang. Auch wenn er auf TIME FOR ACTION in der Tat recht alleine dasteht, haben wir nicht dran gedacht, das irgendwie zu ändern.

 

Das neue Album hat eine deutliche Anlehnung an die zweite Skawelle, dem 2-Tone-Ska. Trotz aller Vielfalt vielleicht doch ein roter Faden und Respekt an die alte Zeiten der achtziger Jahre, der früheren, britischen Rude Boys und gegenüber der jamaikanischen Musik?

 

CARSTEN: Das ist einfach der Sound, auf den wir stehen und auf den wir Bock haben. Wir wollen und können gar nicht die nächste Band sein, die bemüht ist so authentisch wie möglich zu klingen. Das können andere Bands auch viel besser, als wir.  Das wären wir einfach nicht. Wir setzen uns auch nicht bewusst hin und zitieren  andere Bands oder Epochen, aber wissen schon, dass wir es natürlich doch machen. Lass es Two-Tone sein, Third Wave, dann mal eine Runde  Jamaika, und im nächsten Moment aber auch etwas Billy oder was von der Tiefgründigkeit der Smiths samt Morrissey. England und Jamaika sind uns ohne Frage ganz nah, aber nach unseren Regeln halt! Den Ruhrpott und unser eigenes Ding werden wir nie verleugnen.

 

Wo geht der Sound der Los Placebos hin? Was sind die kommenden Projekte und Touren, die anstehen? Auf welchen Festivals können wir euch und euren Sound hören?

 

CARSTEN: Erstmal freuen wir uns jetzt ganz derbe auf die Veröffentlichung von TIME FOR ACTION bei SUNNY BASTARDS im Juni. Hat ja auch lange genug gedauert. Werden den Release auch mit einer richtig schönen Party am 27. Juni in Essen im PANIC ROOM feiern. Unbedingt mal vormerken also. Wir sind um den Release herum und vor allem in der zweiten Jahreshälfte immer wieder unterwegs. Wo es uns da hinführt, kann ich im Moment noch gar nicht so genau sagen. Ist auf jeden Fall einiges in der Pipeline. Hoffen dann zum Jahresende hin wieder ein wenig Zeit im Studio verbringen zu können, um schon mal etwas an neuen Sachen zu arbeiten. Wollen ja schließlich alles dransetzen, dass das nächste Album nicht erst 2021 erscheinen wird!!!

 

Zukunftsvisionen sind immer gewagt und schwierig. Dennoch: Wo geht es mit der Ska-Musik hin? Regionaler, differenzierter, multikultureller, europäischer, globaler?

 

CARSTEN: Ich zitiere hier jetzt einfach mal einen großen Raucher mit Namen Schmidt: „Wer eine Vision hat, der sollte zum Arzt gehen.“ Ich habe keine Ahnung. Was aber leider klar und unvermeidbar ist: Irgendwann werden wir uns auch vom letzten heute noch lebenden Artist der Sechziger aus Jamaika verabschieden müssen. Dann wird es in der Hinsicht sicherlich eine große Lücke geben. Keine Ahnung, wer die dann wie und wann füllt. Vielleicht wird es mehr  solche Tribute-Projekte, wie das JUDGE DREAD MEMORIAL geben oder eben neue und junge  Künstler, die sich den alten Sounds verschreiben. Das sind Sachen, die man ja heute gottlob schon erlebt. Hab keine Angst um den guten alten Vatter Ska. Den wird’s immer weiter geben. Ob nun global erfolgreich oder weiterhin sympathische Nische? Wer weiß das schon? Im Grunde auch ganz egal. Hauptsache es wird immer Menschen geben, die diese wunderbare Musik zu schätzen wissen, sie ehrlich und nicht verbogen leben und lieben und immer weitertragen!

 

Vielen Dank für das Interview.

 

CARSTEN: Wir danken Dir für Dein Interesse an LOS PLACEBOS und verneigen uns.  Keep the spirit alive!!!