CD-Reviews 2003

The Mellers

The Mellers - 2BFat (2003)

Die The Mellers aus Konstanz (D) gehören für mich bereits seit Jahren zu den meist unterschätztesten Bands der SKA-Szene. Zu bescheiden scheinen sie zu sein, um einer verdienten, breiten SKA-Öffentlichkeit gegenüber zu treten. Nach Nikos Angaben (lead-vokal/guitar), wohl auch ein Phänomen, welches vielen jungen Bands - nach einer Zeit - ereilt, wo Job, Familie oder Studium eine größere Wichtigkeit gewinnt. Vom Fenster sind sie - auch live - allemal nicht (siehe Webseite!)!


Bereits die zweite Scheibe "2Fast" (2001) (erste: The Mellers: "Pure SKA"/"Vol. 1"(1999)) ließ einen nur staunen, wenn man bedachte, dass hier eine Newcomer-Band seine Geburt zeremonierte. Damals zierte ich mich auch der zahlreichen, hunderten Kilometer nicht, um der bodensee-ständigen Release-Party beizuwohnen. Und jeder einzelne Kilometer hatte sich gelohnt!
Kommen wir nun zur CD aus 2003. Meine ausdrückliche Empfehlung an die The Busters, sie auf ihrer nächsten Tour mitzunehmen, gibt schon mal in etwas die Stilrichtung vor. Man war ich sauer, als bereits nach dem 6. Song die musikalische Glückseeligkeit ein Ende hatte.


Mehrsprachig (D/E), gitarrengewaltig und spitzenmäßig gespielte Bläser werden durch eine angenehme, passende Stimme, zu einer monströsen Komposition, die oft an den 2-Tone erinnert, aber auch sehr viele punk-rockige Züge nicht vermissen lässt. Deftig, deftig! Rasend schnell, und plötzlich ist er wieder da, der Offbeat und die schallenden Bläser. Wie ich das mag, diese Wechsel.
Es geht also um 2-Tone bis SKA-Punk(rock). Denkste!, denn der Top-Song 6 eröffnet neue Beats, die sich schön lange sechseinhalb Minuten, teils dröhnend und im Wechsel seicht, in den Kopf hämmern. Sehr melancholisch, nachdenklich. "I hear some voices in my head", "There's something strange in my head". Klavier(Synthy-)balladen. Nachdenklich? ... Und dann wieder schreiend.

 

Gitarrensoli, die sich die Finger wund spielen. Wieder Stimmensoli. Roger Waters (Pink Floyd) "The Wall"-Klänge? Ja, auch das ist dabei! Ich fasse es nicht! Was für ein abwechselungsreicher Sound, der einen wirklich mitreisst, in alle Höhen und Tiefen der Musik und Gefühle. Anspieltipp und -Ort: Abends am Rhein (wahlweise eines Gewässers ihrer Wahl - es muss nur fließen und etwas Gewaltiges haben, Titel 6 ;-)

 

Während Song 3 nun zur maximalen Vielfalt auch noch calypsoähnliche Züge trägt, ist der deutschsprachige Beitrag angenehm musikkritisch, wenn mal mächtig auf diversen Pseudo-Star-Castingshows herumgetrampelt wird und berechtigter Weise, die Busen- und Hinternschau im Kontext der musikalischen Qualität hinterfragt wird. Musste wohl, bei dem Sound, etwas an die Toten Hosen oder Die Ärzte denken, gebe ich zu.


Vielleicht ist es diese Leichtigkeit und Lockerheit der Band/Musiker, eben gerade nicht dem reinen Musikstil genadenlos zu verfallen und SKA (-Musik) als leidenschaftliches Hobby zu sehen, wie es auch viele andere guten Bands tun, ohne nach größeren "Mächten" greifen zu wollen. Sich der Musik, den Tönen, den Klängen, dem Sound insgesamt hinzugeben, ohne groß nachzudenken. Deshalb ist es vielleicht so gut. Es ist mehr Reel Big Fish als Skatelites. Es ist mehr Madness oder The Busters als Laurel Aitken. Es wirkt alles etwas verspielt, gemischt. Und das ist gut so!


Fazit:
Hört es euch einfach an! (Der dämlichste Satz, den man in einer CD-Kritik schreiben kann!!). Stellt euch auf 2-Tone bis rockigen SKA ein. Lasst euch von Stimmen, Variationen, von den Auf und Abs faszinieren. Denkt nie, das nächste Stück ist wie das Vorherige. Und wenn ihr die Scheibe in den Händen haltet und sie in den Player gelegt habt/euch drauf einlasst, werdet ihr wissen, was ich meine, wenn nach Song 6 die absolute Leere da ist und das Verlangen nach Mehr nicht mehr aus dem Kopf zu bekommen ist.


Für eines der nächsten Konzerte werde ich mir schon mal den großen Benzintank wieder füllen!

 

DerDUDE

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Lama (Ch)

Lama (Ch) - Island Of Madness (2003)

Die drei Jungs aus Basel haben sich lange Zeit genommen, um ihre erste Debut-CD "Island OF Madness", den SKA-Reggae Fans zu präsentieren. Mein nicht wirklich guter Wortwitz "Lahm-A" trifft zwar auf die 5 Jahre Zeit zu, die sie für die A-Veröffentlichung gebraucht haben, aber sicherlich nicht für ihre Musik. Dafür brauchte ich etwas länger für die CD-Kritik, naja nicht ganz so lange ;-)
Lama ist eine "Combo", mit Bass (Felix Müller), Gitarre/Gesang (Michael DeMel) und Schlagzeug (Chasper Kron). Das die Scheibe auf einer italienischen Insel (Giglio) aufgenommen wurde, hört man jetzt zwar nicht raus, erklärt aber die Herkunftsbezeichnung.


Als Fusion aus SKA, Reggae und Punk wird sie angekündigt. In der Tat haben wir hier wieder einmal eine Scheibe, die die Gratwanderung und Akkumulation der Stile probiert und im Großen und Ganzen auch schafft. "Abwechselungsreich, brachial, groovig und emotional..." Sie selber bezeichnen ihre Musik als "NewOldSchoolFusionReggaeSkaPunk" *aua*. Die im Interview beschriebene Nähe zu Sublime kommt auf der CD wirklich nicht ganz rüber. Wie dem auch seie.
Gleich Song eins steigt auch in diese erste Beschreibung ein. F.T.V. kommt mit seichtem Offbeat, der nahezu in jedem Song des Silberlings auftaucht. Reggae-Grooves mit kurzen Gitarrensoli. Die Richtung ist gleich schon mal vorgegeben. Song zwei würde man als schnell gespielten SKA bezeichnen. Es geht in Richtung 2-Tone. Gut insgesamt, dass man sich offensichtlich auf englische Texte geeinigt hat.


Anlehnungen an Lee Perry, Bobby McFerrin oder John Holt u.a. sind nicht zufällig. Hör' ich da in Song drei einen Synthy? Langsam und nachdenklich beginnt hier die Suche und der Wunsch nach "Sweet Love". Der Song heisst allerdings "Reggae Is What I Want". Und so hört er sich auch an! Den spielt man lieber auf dem Summerjam in Köln als auf einem Sublime-Konzert ;-)


Song 4 "Satan's Queue" schlägt absolut aus dem Rahmen! Voll der Punkrock mit endendem langsamen Bläserteil? Das tut der Scheibe allerdings nicht gut. Mehr dazu am Ende. Noch verwunderter ist man wenige Sekunden später, wenn nämlich mein absolutes Lieblingsteil der CD kommt! "Big Tree". Absolut melodisches Teil, mit dialogisierendem Echo zwischen Flöte (huch?) und Synthy? Ein wirklicher Ohrwurm, der aber diesmal wieder in Richtung langsamen Reggae geht. Textinhaltlich geht es um einen Samstag Abend des Sängers, der ihm eigentlich gut gefällt, aber von einem "terrible dream" durchzogen wird, wo ihm dann doch zuviel electronic, plastic und zu laute Leute auf den Keks gehen. Ein eher emotionaler Text, wie viele auf der CD, der aber eine klasse Metapher von einem großen Baum mit zahlreichen Früchten beinhaltet. Die Stimme kommt hier sehr gut und ehrlich.


Von den Gefühlswellen gepackt, darf man sich nicht zurücklehnen, denn in Song 6 "Gently" bekommt man die geballte Musik des SKA, Reggae und Punk gleich im wechselnden Sekundentakt um die Ohren gehauen. Es ist neben dem Song 4 der Zweite (dabei bleibt es auch), der eine rote Markierung bekommen hat und etwas aus der Art schlägt. Song sieben bis elf wechselt mal wieder fröhlich zwischen langsamen 2-Tone, SKA und Reggae und etwas Punk..
Wie immer ist diese Mischung ganz witzig und spannend. Das schwierigste daran ist es, trotz Stilvielfalt, es wirklich als Symbiose rüberzubringen. So ganz gelingt das hier nicht. Ein wirklicher, neuer Stil ist hier nicht entstanden. Die Stile werden oft nacheinander gespielt und selten gemischt.


Das sieht mehr aus wie eine musikalische Biographie aus vielen Jahren mit doch recht unterschiedlichen Einflüssen und Instrumenten. Flöte und Trompete oder Synthy sind offensichtlich heute nicht mehr dabei. Das Trio besteht erst seit drei Jahren.


Ohne die zwei Hardcorestücke wäre es vielleicht ehrlicher rübergekommen. SKA-Reggae reicht ja auch. Da ab und zu mal den Punk raushängen zu lassen, ist ja schon mal ganz witzig. Schnell läuft man Gefahr, in dieses Reggea-SKA + X zu geraten, wo alles und nichts möglich ist und keiner mehr weiß, wo er da eigentlich dran ist. Man kennt das von Konzerten, wenn man sich einmal eingeskankt hat, einmal eingegrooved hat und dann plötzlich pogen soll.


Dem Allem zum Trotz, ist es eine sehr interessante Scheibe, die halt viel Abwechselung und Spannung verspricht. Auch die Stimme gefällt mir gut. Textinhaltlich wird hier zwar jetzt nicht die Revolution ausgerufen, aber der softere Sound aus Reggae und SKA passt eben auch eher zu den persönlichen, emotionalen und nachdenklichen Inhalten.


Eine gewisse Faszination geht jedenfalls von dieser Scheibe aus. Sonst hätte ich nicht drüber geschrieben. Zwei Ohren ist sie es jedenfalls wert! Wie sie jetzt nun live sind, ist aufgrund der Instrumentenzusammensetzung und dem Gehörten schwer einzuschätzen.


DerDUDE (Mai 2005)


Tracklist:
1. F.T.V. | 2. Same to me | 3. Reggae is what I want | 4. Satan's queue | 5. Big Tree | 6. Gently | 7. Use my own two feet | 8. The Dance | 9. Free Time | 10. All in my head | 11. Crazy World

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Yellow Umbrella

Yellow Umbrella "Stoned-Steady" 2003 (Rain Records)
Review vom 7.9.2003

 

Na dann werde ich mal vorpreschen und wohl einer der ersten Reviews über die neueste Scheibe der Dresdener Yellow Umbrella schreiben "Stoned-Steady". Gewagt ist es nicht, weil ich keine andere Review zuvor gelesen habe - so was ist ohnehin nicht meine Art - sondern, weil ich sie erst seit wenigen Tagen in der Hand habe. Schon mal vorweg, beim ersten Hören klingt die CD etwas wie der geschmeidige Abgesang auf alte Zeiten. Auf die freiwillig aufgelöste Band. Sehr, sehr leise zum Teil. Fast nostalgisch klingen Sound, Texte und Stimme. Kein Vergleich zu den früheren stark und mächtig klingenden Scheiben. Es wirkt irgendwie alles recht nachdenklich (Song 13: Survive In This World / Song 5: Modern Slavery) - oder doch stoned, wie der CD-Titel verraten mag?


Dass bei der Erstellung des Frontcovers jemand stoned war, hoffe ich einfach mal. Ein One-Pic-Comic, so scheint es mir. So weich, so soft, so harmonisch wie aus der Werbung für eine Telefongesellschaft, Nivea-Creme oder einer Tabakfirma "geklaut" - im 70er Jahre Stil. Da wir gerade beim Titel sind, seie auf die Verbindung zum Rock-Steady eingegangen. Das ist es wohl, was die Scheibe in weiten Teilen prägt. Soulig und sehr geschmeidig kommen da die Songs daher, die manch Ska-Fremden immer auf die Idee kommen lassen, SKA seie Zirkusmusik (Song 3: I Will oder Song 4: PerestroiSKA). Die mit 14 Stücken durchaus kompakte CD verspricht hierneben natürlich auch den klassischen Reggae-Sound (Song 5: Modern Slavery). Lied 12 "Black Sun" kommt mir irgendwie bekannt vor, was aber nichts macht, denn der Sound gefällt mir sehr gut. Song 9, Granny, wird einen ebenfalls gerne an die klassisch, reggae-mäßigen, langsameren Songs der "früheren" Yellow Umbrella erinnern - kurz - wie das Lied selber. Neben den etwas jazzigen (und Blues?-An-) Teilen und den SKA-Elementen (Song , die mit deutlichen Bläsern (wie gewohnt) daherkommen, wendet sich das Blatt, wenn man sich an die Geschwindigkeit gewöhnt hat und den klasse Gesang bzw. die tolle Stimme vom Sänger, Jens, beachtet. Es ist eben halt auch keine Stimme für den krassen SKA-Punk. Melodiös schlendert sie angenehm und charakteristisch durch jeden Song. Mein absoluter Favorit ist der chartsfähige Song 13: Survive In This World, der mir auch textinhaltlich sehr gut gefällt! (Ja! Mir gefallen auch langsamere Stücke! Nicht mehr so krass, aber dennoch anwesend ist das, was ich als "multikultural SKA" bezeichne. Die Einflüsse "fremder" Musikkulturen. Auch hier ist Song 4 "PerestroiSKA" ein gutes Beispiel für das Aufgreifen russischer Stilelemente, wie es bereits in früheren Produktionen der Fall war (Ebenso: Dracul SKA, einer der schnellsten Songs auf der Scheibe). Ebenso wie die Stimme zum Sänger gehört, gehört der Synthy zum "Typ" und den Yellow Umbrella. Auch hier kann man sich auf eine Kontinuität verlassen. Mal mehr, mal weniger markant, aber immer da. Und jetzt verbrenne ich mir möglicherweise die Finger, wenn ich mich da an Calypso erinnert fühle. Und ein wenig gecover ist auch hier zu finden. Manchmal klappt es, manchmal ist es ok, manchmal wirkt es einfach komisch. Ich überlasse es mal euch, wie ihr es findet, wenn z.B. John Lennon in Song 3 grüßt (auch gecovert: Song 6 und 10 - Boys Don't Cry). Ganz erhellend sind die Kommentare zu den einzelnen Songs auf der CD

 

Mein Fazit:
Für meine Begriffe sicherlich nicht die beste CD der Yellow Umbrella, aber sie hat einen gewissen Charme, der vielleicht in den obenstehenden Zeilen etwas zu kurz kam. Diese Scheibe bedarf der Eingewöhnung für Leute, die den klassischen SKA oder die weitläufigen Crossover-Ska-Interpretationen gewöhnt sind. Wie gesagt, es wirkt alles recht sanft und nachdenklich, was eben kein musikalischer Fehler ist. Und in dem ein oder anderen Lied geht es ja dann doch richtig ab. Vielleicht sind es die Gitarren, die mir hier manchmal fehlen. Ein soulig, ska-reggae-rocksteady-mässiges Teil, an das man sich gewöhnen kann. Und zur richtigen Tageszeit und mit den richtigen Utensilien, ein passendes Beiwerk für schöne, entspannte Stunden Wie das Ganze nun live klingt, kann ich natürlich (noch) nicht beurteilen. Ich wage eine heikle Prognose. Wir werden sie wiedersehen - live. Ich wünsche es dem Publikum. DerDUDEP.S.: Dass jetzt von Seiten der Yellow Umbrella professionell etwas die Marktschiene gefahren wird, lässt mich weder die Band noch diese Scheibe in Frage stellen. Musik kann man nur machen, wenn man gegessen hat.

 

DerDUDE

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Skunk Allstars

Skunk Allstars (Köln)

Bleeding Hearts and Smiling Faces (2002/2003 Wolverine Records)

 

 

Ohweija, (Ska-)Pursiten, die die heile, traditionale Welt des Ska oder Reggae fundiert in historischen schwarzen, runden Scheiben auf Jamaicas Routen suchen, sollten ganz schnell genau hier aufhören zu lesen.


Das wird jetzt eine aufgewühlte Beschreibung durch die Wogen des weiten Meeres der musikalischen Gefühle und Stile, die hier auf einen einbrechen. Man könnte es mit Ska-Punk-Reggae +X oder Crossover abtun, aber das würde der Scheibe mit Sicherheit nicht gerecht. Und es hat schon seinen Grund, warum ich mal wieder Wochen brauchte, um mir eine Meinung - habe ich eine Wirkliche (?) - bilden zu können - um das Erstlingswerk der Skunk Allstars aus 2002 einzuschätzen (Release in D 2003).


Die Scheibe von den 8 (+ div. Gastmusiker) Skunk Allstars aus Köln bewegt sich zwischen den Stilen des Ska, Punk, Reggae, Ragga, Dub und HipHop, wobei sehr charakteristisch ist, dass die Stile oft schnell hintereinander und selten durcheinander gespielt werden. Bestechend ist die Stimme des engagierten Sängers Frank (früher Skunk), die den ganzen Silberling recht professionell und durchdringend begleitet. Dazu aber später mehr.
Der Sound, die Aufnahmequalität der CD, lässt sich ohne Mühen im Kontext mit den "Größen" der Musikwelt nennen. Sauber! Die zahlreichen Gastmusiker sprechen dann auch für viel Abwechselung.


Ich darf begründeter Weise bei der Meereswogen-Metapher anknüpfen, die die 13 Stücke zählende CD durchzieht. Und das nicht nur musikalisch. Ungewöhnlich aber sehr passend, seien einige Anmerkungen zum CD-Cover gemacht, auch wenn es zunächst etwas verspielt wirkt.


Zu sehen ist ein aufgewühltes, blaues, spielerisches Meer, welches verschiedenste Symbole in sich birgt bzw. diese aus dem Wasser ragen. Ein dunkelrotes Herz ist hier umgeben von einem Gitarrenhals, einer Bierdose, Messer, Zigaretten, Medizinflasche, Geldscheinen, einer Bombe sowie eines Strickes. Auf der Rückseite wird es dunkel am Himmel, das Meer - die Wogen - dunkelblau. "No one is free" - Im Wasser schwimmen Totenköpfe, Kreuze, Spritzen, Knochen, ein TV, Fragezeichen, eine knallrote Faust erstreckt sich inmitten des Bildes geballt, fast drohend gen Himmel. Würfel, eine orange Blume, ein weiteres Herz sowie eine Kerze mit hellem Licht scheinen den kleinen emotionalen Gegenpol zu bilden - die Hoffnung? Das Hauptcover besteht aus einem "buddhistisch ähnelndem Mönch der Musik", der ein blutendes Herz mit Schlüsselloch auf der Brust trägt. Als wenn der Schlüssel zum Herzen dieser Musik, dieser Band erst gefunden werden müsste.


Warum diese ganzen Ausführungen? Es geht doch um Musik, oder?
Ja, und ich habe selten gesehen, dass das Cover so nahe an der Musik ist, sie ausdrückt, wie bei dieser. Denn, wie der Titel "Bleeding Hearts and Smiling Faces" schon andeutet, geht es hier um viel Zwiespältigkeit. Textinhaltlich eben auch mal um die gesellschaftlichen Missstände oder die emotional-persönlichen Brüche und Spaltungen der eigenen Gefühle und Wünsche - Ausdruck. Das spiegelt auch das Cover - zum einen wirkt es fast kämpferisch, zum anderen scheinen die Themen, Inhalte und Symbole dem wogenden Meer ausgesetzt zu sein, ohne einen Einfluss zu haben. Das Glück verbirgt sich in diesem Herzen, welches erst erschlossen werden muss. Ob Ihr den Schlüssel findet, liegt bei euch. Die Symbole sind wohl nur der scheinbare, trügerische Schlüssel zum Glück.


Um zur eigentlichen Musik zurückzukehren: Mit Ausnahme der Songs 5 (Dubby Dem I Come Som), 8 (Dubwar) und 13 (Mad Man), wird man bei kaum einem Lied nicht mit einem raschen Tempowechsel konfrontiert. Meist fangen die Songs mit eher seichteren Bläsern/Gitarren an, um dann in Windeseile das Tempo auf Punk- oder Metal-Stil hochzufahren (Song 1 Holyland oder auch 7 Parkinsons). Wenige Sekunden später plumpst man wieder herunter auf den musikalischen Boden der stimmlichen und rhythmischen Seichtigkeit. Demgegenüber ist dann dieser "jump, jump, jump"-Effekt zu hören - was die Party- und Konzertstimmung erhöhen lässt. Zu diesen Wechseln kommen die erwähnten Musikstile des Punk, Ska, Reggae, Ragga oder Hip-Hop hinzu. Vielleicht versteht man nun die Ausführungen bezüglich der wogenden Wellen des Meeres. Es ist eben auch ein musikalisches auf und ab, ein hin und her. Ein Aufbäumen und wieder Zusammenbrechen in hunderte Bruchteile der einst ausdrucksstarken, lauten Wellen.


In Song 2, "Skin Of A Tear", der eigentlich besser "I Don't Wonna Be Like You" heissen müsste, schreit der Sänger fast den Song aus seinem Halse - man merkt, dass hier gefühlt und gedacht wird, was gesungen wird. Und das gilt nicht nur für diesen Song!


Kurios ist in Song 3 (Unified) ebenso wie in Song 8 (Dubwar), dass plötzlich und auch nur kurz, deutsch gesungen wird. Sehr witzig irgendwie, denn der Rest der Scheibe ist in reinem Englisch gehalten. Übrigens hier wieder die bekannte Mischung aus Bläser, dem typischen "Tska, tska, tska" der E-Gitarre gemischt mit Dub-Elementen und einer z.T. punkigen Stimme. Nicht zusammengewürfelt. Abgestimmt.


Zu meinen persönlichen Hits der Scheibe:
Ganz klar vorne ist Song 11, "Stressed Out". Das kommt schon ziemlich geil, wenn da die Bläser zum (Meeres-)Sturm blasen, der SKA-Beat melodisch tönt und der Gesang sich mit den Gitarren zum wilden Getöse vereint. Klasse, klasse. Sehr schön einfach. Das wirkt trotz der Hektik ausgewogen. Vielleicht liegt es ja daran, dass man sich nach 10 Liedern daran gewöhnt hat, dass Tempo- und Stilwechsel auftauchen - man hat Spaß daran gefunden. Vielleicht der musikalische Schlüssel zum oben beschriebenen Herzen. "I'm wonder what I'm living for" und "never give it up" zeigen, wo es textinhaltlich hingeht (leider sind nicht alle Texte auf dem Cover).


Wir ziehen gleich weiter zu Song 12, "Jaded". Neben variablem, gutem Gesang, auch hier wieder Stilbrüche, diesmal in Richtung Hardcore oder Heavy Metal. Die Bläser halten gleichzeitig ihre Tröten hoch. Das wirkt schon sehr kräftig.

Unter den Top 4 auf dieser CD gehört dann auch Song 4, "Step By Step":
Einleitend wieder 'unsere' Bläser. Schneller Ska, mit späteren Hip-Hop und Dub-Einflüssen!?


Nicht zuletzt kommen wir zum bassdröhnend eingeleiteten Song 8, auch ein Hit-Tipp. Diesmal in Richtung Dub-Hip-Hop-Reggae (?). Deutsch-englisch gesungen, mit viel Hall und einem deutlichen Schwingfaktor. Ein Dialog, nicht nur der beiden Sänger. Unter die Haut geht dieser Sound allemal, denn er besteht den "Anlage-Aufdrehen"-Test mit Eins. Allerdings muss man nach dem Song die Boxen wieder auf ihre ursprüngliche Position zurückstellen ;-)


Das Fazit:
Den Stil nenne ich jetzt einfach mal postmodernen SKA-Punk-Reggae, ohne die anderen Einflüsse missachten zu wollen. Die stimmenbetonte Scheibe zeigt erneut, dass Vielfalt nicht Durcheinander bedeuten muss. Nein, ich nenne hier jetzt nicht Sublime als Vergleich. Ich denke da eher an Krach oder die Wisecräcker, die in eine ähnliche Richtung gehen. Mischungen müssen nicht zwangsweise unmelodisch sein. Es wirkt wie die Freundschaft der Stile und Andersartigkeiten. Und dennoch zeigt die Scheibe auch Zerwürfnisse - die Texte und das Cover verweisen auf viele kritische Töne, Emotionen und Wünsche. Und das kommt echt (!) rüber! Auch hier spielt die Stimme eine sehr große Rolle, die sich auch nahezu perfekt, offensichtlich jedem Stil musikalisch anpassen kann, ohne sich zu verkaufen. Gute Musik und schwierige Texte zu verbinden ist eine/DIE Kunst.


Grundsätzlich gilt allerdings für den Rezipienten, dass er in gewisser Weise die einzelnen Musikstile schon etwas mögen muss. Offenheit ist angesagt.
Man muss schon den Mut haben, in die Wogen des Meerestreibens einzutauchen und sich mittreiben zu lassen. Egal, was da kommt. Wer das Cover kennt, weiss wovon ich rede. Das hört sich nach Bedingungslosigkeit an. Ja, ist es auch. Gefangen in den schäumenden Wellen, kommt man so schnell nicht wieder von dieser Scheibe los.


Die Genialität dieser Scheibe besteht, ich sage es gerne noch mal, in ihrem Abwechselungsreichtum, der bald soweit reicht, dass man an einen Sampler denken könnte, wäre da nicht die charakteristische Stimme und die "Einheit der Vielfalt".


Ohne groß übertreiben zu wollen, so darf wohl jetzt schon gesagt werden, dass Skunk Allstars mit dieser CD einen Top-Treffer gelandet haben.
Ein Kauf-Tipp für alle, die gerne etwas anderen SKA-Punk oder Reggae mögen und den Tellerrand des Ska/Rocksteady verlassen möchten, um zu schauen, wo eine andere Entwicklung des SKA in die Zukunft weist.

 

DerDUDE (März 2003)

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